LRS/Legasthenie und das Recht auf Durchschnittlichkeit

„Berühmte Legastheniker*innen“

Davon gibt es eine ganze Reihe und immer wieder trifft man auf Beiträge, die sie auflisten. U.a. Jules Vernes, Albert Einstein, Agatha Christie oder Whoopi Goldberg sagt man „Legasthenie“ nach. Der Tenor, der dabei häufig mitschwingt ist: Menschen mit LRS/Legasthenie seien ganz besonders intelligent / kreativ / durchsetzungsstark / begabt usw.

Kinder auf diese Berühmtheiten hinzuweisen, kann zunächst als entlastend empfunden werden. Im Sinne von: Auch mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten kann man alles erreichen! Gleichzeitig setzt so eine „Ermutigung“ die Kinder oft unter Druck – und ebenso die Eltern. Nach dem Motto „Und, was kannst du dafür besonders gut?“ entsteht der Zwang, das „Defizit“ LRS durch eine außergewöhnliche Begabung auszugleichen.

Druck rausnehmen! Hohe Erwartungshaltungen behindern Kinder

Trauriger Junge

Es ist gut, wenn Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten nicht verheimlicht werden, wenn Betroffene offen von ihren Problemen im Alltag berichten und darüber, was ihnen hilft oder geholfen hat. Natürlich ist es wichtig, auch die eigenen Stärken wahrzunehmen und einzusetzen. Und dafür ist es hilfreich, dass diese Stärken auch von anderen gesehen werden und daran anzuknüpfen.

Gleichzeitig müssen betroffene Kinder und ihre Familien häufig viele Hürden überwinden, ehe sie eine individuelle Förderung erhalten. Manche haben damit zu kämpfen, dass Eltern oder Lehrkräfte die LRS nicht sofort als solche erkennen. Andere schaffen mit Ach und Krach einen Schulabschluss und bleiben doch immer hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dass es Betroffene gibt, die einen Nobelpreis gewinnen, Multimillionäre oder weltbekannte Schauspieler sind, ist da nur bedingt hilfreich. Denn die Erwartungshaltung des Umfeldes an Kinder mit LRS kann ohnehin schon erdrückend groß sein.

Das Problem ist ja nicht das Kind. Ein starres Schulsystem, das Fehlen individueller Förderung, zu wenig Zeit und zu wenig Verständnis und Geduld seitens der Schule, Kolleg*innen, Familie oder der Gesellschaft, und vor allem fehlende Gelder zur gezielten Förderung, sind die wahren Probleme.

Legasthenie/LRS sind keine Krankheit oder Behinderung

Ein weiterer Aspekt ist unter anderem bei der teils unreflektierten Medienberichterstattung problematisch: Es wird suggeriert, dass „Legasthenie“ eine Krankheit sei. Sie könne nicht „geheilt“ werden. Betroffene könnten sich aber „heraus kämpfen“, sie teilweise überwinden und dann trotz der „Störung“ oder „Behinderung“ erfolgreich sein. Dabei benötigen Menschen mit LRS vor allem eins: angemessene Unterstützung – und zwar am besten frühzeitig.

Wenn ein Kind beim Bockspringen Hilfestellung braucht, spricht man ja auch nicht von einer „Störung“. Schließlich ist jeder Körper anders, genauso wie jeder Mensch einzigartig ist. Und auch jede Lebensgeschichte ist individuell. Sicher ist: Mit gezielter Förderung kann jedes Kind viel erreichen.

Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten sind vor allem eins: völlig normal. Sie haben genauso ein Recht auf Normalität und Durchschnittlichkeit wie jedes andere Kind oder jeder andere Erwachsene. Sie müssen keine Hochbegabung haben, keinen Nobelpreis gewinnen und auch nicht ausnehmend gut musizieren. Es reicht aus, dass sie sind, wie sie sind!

Diese Gewissheit ist es, die Kinder stark macht.


Bildquelle: © TuTheLens / Fotolia

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Qualifikation und Fortbildung von Lehrkräften zu Alphabetisierung und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS, Legasthenie)