Gastbeitrag: Multiprofessionelle Teams an Schulen
Gastbeitrag von Susanne Seyfried
Lehrkraft an der Grundschule (Grundschule Friedensschule, Villingen-Schwenningen)
Inhaberin und Lerntherapeutin bei Lerntherapie VS, Integrative Lerntherapeutin (Master-Studium „Integrative Lerntherapie“)
Multiprofessionelle Teams an Schulen – Gezielte Unterstützung für Schüler mit Legasthenie/Dyskalkulie
Hanna ist gerade in die 2. Klasse gekommen. Sie ist ruhig und eher ein introvertiertes Kind. In Klasse 1 kam Hanna gut zurecht, ihr Zeugnis war unauffällig und sie freute sich riesig auf Klasse 2.
Jetzt allerdings kommt sie mit Mathe nicht klar, sie verwechselt Zehner und Einer, sucht im Buch ständig die richtige Seitenzahl und rechnet, indem sie zählt. Sie gibt sich unendlich viel Mühe, dem mathematischen Stoff zu folgen, und ist trotzdem von Tag zu Tag stärker demotiviert. Zuhause ist die Hausaufgabensituation emotional angespannt, denn die Eltern verstehen einfach nicht, warum so einfache Aufgaben nicht klappen. Die Lehrerin ist besorgt, hat aber mit rechenschwachen Schülern wenig Erfahrung und gibt Hanna noch mehr Arbeitsblätter für daheim mit. Die Beratungslehrerin hat erst wieder in 4 Monaten einen Termin frei.
Wenn die Hilfe auf sich warten lässt
Was ist jetzt zu tun? Was sind die nächsten Schritte? Ist Hanna auf der falschen Schule? Gibt es eine Rechenschwäche tatsächlich oder muss einfach nur abgewartet werden, weil der Knoten schon irgendwann platzt? Oft kommt in solchen Fällen ein Verfahren mit langen Wartezeiten in Gang: Förderunterricht, Klassenwiederholung, Beratungslehrer, sonderpädagogischer Dienst, schulpsychologischer Dienst oder es werden zusätzlich externe Stellen zwecks Diagnostik kontaktiert. Manchmal vergeht ein Schulhalbjahr, bis man weiß, „was Sache ist“. Aber weiß man das dann wirklich? Wird Hanna gezielt unterstützt oder haben wir einfach nur eine Diagnose? Im Fall von Hanna verging ein ganzes Schuljahr, bis die Rechenschwäche erkannt wurde, das Thema Förderschule vom Tisch war und eine externe lerntherapeutische Förderung in die Wege geleitet werden konnte.
Stellen Sie sich vor, Sie bekommen sofort Unterstützung
Stellen Sie sich vor, da wäre jemand IN der Schule, ein Experte für Lernschwierigkeiten, ein integrativer Lerntherapeut, der einen zweiten Blick auf das Kind werfen kann. Jemand, der sich vor Ort kurzfristig mit der Lehrkraft und den Eltern austauschen kann. Viele Lehrer möchten gerne helfen, aber ihnen fehlt das nötige Fachwissen, und Eltern werden somit auf kostenpflichtige Angebote außerhalb der Schule verwiesen – dies meistens sehr spät. Viele Eltern können sich das jedoch nicht leisten. Auch der KMK-Beschluss von 2007 sieht die Schulen in der Pflicht, „Lernschwierigkeiten frühzeitig zu erkennen, um mit der Förderung möglichst frühzeitig beginnen und einen individuellen Förderplan entwickeln zu können“.
Frühe Förderung für schulischen Erfolg
Es gibt jedoch auch Schulen in Baden-Württemberg (BW), die eine frühe Förderung etabliert haben. Da gibt es Einzelförderung für Schüler mit einer LRS/Rechenschwäche oder rechenschwache oder lese-rechtschreibschwache Schüler werden in Gruppen fit gemacht. Diese Unterstützung gibt es und das kommt den Schülern zugute. Leider ist das nicht in ganz BW der Fall, oft fehlt es an Lehrern und an Förderkonzepten. Manchmal gibt es auch Lehrer in BW, die haben von einer Rechenschwäche nur am Rande gehört, sind bei Lese- Rechtschreibschwierigkeiten nicht geschult oder schlichtweg (zeitlich) überfordert.
Wo in einigen Regionen momentan der Regelunterricht nur mühsam abgedeckt werden kann und Förderstunden gestrichen werden, bleiben die Kinder mit Lernschwierigkeiten auf der Strecke. Die Pandemie verschärft die Situation um ein Vielfaches. Wichtig sind mehr Aufklärung, qualifizierte Schulungen und ein tiefes Verständnis für Schüler mit einer Legasthenie und/oder Dyskalkulie, damit diesen Schülern niederschwellig und zeitnah geholfen werden kann. Nutzen wir die Chance, multiprofessionelle Teams und Lerntherapeuten in der Schule einzusetzen, mit fairer Bezahlung und einem Austausch auf Augenhöhe. Die Lehrer und Schulen können so entlastet werden und sich auf ihre Stärken fokussieren. Denn schulischer Erfolg sollte nicht vom Wohnort abhängig sein, auch nicht in BW.
Schüler mit Lernschwierigkeiten haben unsere Unterstützung verdient, jemanden, der an sie glaubt und sie nicht in eine Schublade steckt. Für Hanna und alle anderen, die einfach einen zweiten Blick benötigen.
Bildquelle: © Susanne Seyfried / privat
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