Was ist „Legasthenie“? Und was nicht? – Eine pädagogisch-psychologische Definition von LRS
Neben einem Begriffswirrwarr in dem Bereich „LRS, Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Störung, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Dyslexie usw.“ gibt es, pointiert gesagt, zwei verschiedene Ansätze Lernschwierigkeiten beim Lesen und Schreiben zu beschreiben. Die medizinische Sichtweise, die Legasthenie im Sinne einer Krankheit bzw. genetischen oder hirnphysiologischen Störung begreift, hat eine hohe Öffentlichkeitswirksamkeit. Aber sie fokussiert nur auf einen Einzelaspekt der Entstehung von Lernschwierigkeiten, nämlich auf die organischen Voraussetzungen des Kindes.
Pädagogisch-psychologische Definition von LRS
Aus einer pädagogisch-psychologischen Sicht definieren wir von LegaKids und alphaPROF die Lernschwierigkeiten beim Lesen und Schreiben umfassender:
LRS bezeichnen Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten von Kindern, deren Ursachen sowohl im Begabungsprofil des Kindes (Dispositionen), seinen körperlichen Voraussetzungen (Hörverarbeitung, Sehverarbeitung) als auch in äußeren Einflussfaktoren (Schule, Elternhaus) bzw. in einem Zusammenspiel all dieser Faktoren liegen können.
So vielfältig wie die oben genannten (medizinisch geprägten) Begriffe können auch die Ursachen für LRS sein. Eine Etikettierung von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten als „Legasthenie“, „Krankheit“ oder „Störung“ birgt das Risiko, die Lernschwierigkeiten von Kindern zu pathologisieren: Lese-rechtschreib-schwache Kinder sind weder krank noch gestört. Sie sind oft sehr kreativ und müssen intelligente Wege finden, in der Schule zurechtzukommen, wo Lesen und Schreiben eine wichtige Rolle spielen.
Dies ist ein Grund mehr, allgemein von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten zu sprechen: Für die pädagogische Arbeit ist der Begriff „LRS“ für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten handhabbar und auch unter schulrechtlichen und förderdiagnostischen Gesichtspunkten sinnvoll.
Die möglichen Ursachen zusammengefasst in Stichworten:
- genetische Voraussetzungen (Dispositionen, Begabungsprofil)
- frühkindliche Sprachentwicklung
- problematische Entwicklung im Bereich der Emergent Literacy und / oder der Sprachbewusstheit
- Hörverarbeitung, Sehverarbeitung
- Aufmerksamkeit
- soziale Rolle eines Kindes in der Familie, im Kindergarten und in der Schule
- Qualität des Bildungsangebots (unzureichende individuelle “Beschulung”, “Wissensanhäufung statt Bildung”)
- mangelnde oder fehlende didaktische Ausbildung der Lehrkraft
- häufiger Lehrer/innenwechsel (vor allem in der Grundschule)
- sprachliche Probleme durch einen Migrationshintergrund
- wenig anregende Lernumgebung, Konflikte in der Familie (Trennung etc.)
Sie merken: Ursachen und Formen von LRS variieren stark. Das macht die Arbeit mit von LRS betroffenen Kindern allerdings auch umso spannender – und wichtiger!
Weiterführende Informationen
- Stellungnahme zu Diagnoseleitlinien „Lese-Rechtschreib-Störung“: „Die medizinische Diagnose „Legasthenie“ ist irreführend und schadet den Interessen der Kinder“ (R. Valtin, B. Büchner, D. Gerlach, M. Kortländer)
- Stellungnahme des Grundschulverbands (2015)
- Ausführliche Stellungnahme der LegaKids-Stiftung: Legasthenie – eine Krankheit, eine Behinderung, eine Störung? (B. Büchner, M. Kortländer, B. Werner, N. Robering, F. Schönweiss)
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