Gemeinsam mit seinen Projektpartnern sammeln LegaKids und alphaPROF Empfehlungen für die Kooperation von Lerntherapie und Schule, um beide Bereiche enger miteinander zu verknüpfen. Langfristig sollen damit die Förder- und Unterstützungsstrukturen für Schülerinnen und Schüler verbessert werden.

KREISELinitiative Lerntherapie IN Schule – Früh fördern statt spät sitzen bleiben

Jochen Klein

 

Für Kinder mit „hartnäckigen“ Lernproblemen hat sich das neue Berufsbild Integrative Lerntherapie entwickelt: Manche Kinder benötigen mehr als „Lese- und Schreibförderung oder Rechenförderung“, sie benötigen auch psychische Stärkung, benötigen auch die Förderung von Wahrnehmung, Grob- und Feinmotorik, Bewegungskoordination und Sprache – und ihre Eltern und Lehrkräfte benötigen ebenfalls gute Hinweise oder auch Entlastung. So entwickelten sich interdisziplinäre und systemische Ansätze von „integrativer Lerntherapie“, woran Dr. Jochen Klein als Leiter des KREISEL seit mehr als 30 Jahren beteiligt ist.

Qualifizierte Integrative Lerntherapeut_innen bieten:

Beziehungskompetenz

Der Fähigkeit, professionell Beziehung aufbauen und halten zu können, kommt ein entscheidender Stellenwert zu.

  1. Bezüglich eines Kindes: Gerade ein in seiner Entwicklung wie auch immer gehandicaptes Kind benötigt eine Person, die es emotional „erreicht“, es in seinen aktuellen Grenzen genauer sieht und darin akzeptiert und zugleich andere (bisher kaum) gesehene bzw. gewürdigte Möglichkeiten „entdeckt“ und einbezieht.
  2. Bezüglich der Eltern: Die meisten Eltern sind durch die problematisch werdende Lerngeschichte ihres Kindes stark verunsichert, manche sind „enttäuscht“ oder gar „gekränkt“, andere waren, sind und bleiben überfordernd, manchen fehlt – nach vielen schwierigen Erfahrungen – das Zutrauen, wieder andere Eltern wirken desinteressiert. In jedem Fall ist es entlastend, die Eltern „zu erreichen“ und sie zur Mitarbeit zu gewinnen, denn in diesem Fall erreicht eine Lerntherapie ihre größte Wirkung.
  3. Bezüglich der Lehrkräfte: Auch für Lehrkräfte ist mitunter die Beziehung zu einem Kindund/oder zu dessen Eltern „gestört“ – und auch im Falle einer solchen Beziehungsstörung kann die Lerntherapeutin konstruktiv einbezogen werden und wirken.
  4. Interdisziplinäre Kooperation mit anderen Fachkräften erfordert neben der Kenntnisvon deren spezifischen Angeboten einen kooperativen Arbeitsstil

Diagnostikkompetenz

Lerntherapeut_innen achten gleichwertig auf „Kompetenzen und Grenzen“, suchen dabei gezielt nach – bisher häufig unentdeckten oder vernachlässigten – Ressourcen des Kindes, achten viel mehr auf die Qualitäten – wie genau z.B. ein Kind liest – suchen insbesondere danach, was ein Kind denn „bei dem, was es nicht kann, schon kann“ – Beispiel: „Buchstabenunsicherheit“ – welche sind sicher? Mit denen kann ich gut arbeiten! Lerntherapie sucht potentielle Belastungen gesundheitlicher bzw. psychischer Art – und wieweit diese Bezug haben zu Sensomotorik, Sprache, Schriftsprache bzw. Rechnen. Wie steht das Kind im emotionalen Kontakt zu seinen Eltern, seinen Lehrer_innen, anderen Kindern? Wie könnte der gezielte Einbezug des Umfelds (Eltern/Familie, Lehrkräfte, gegebenenfalls weiterer professioneller Helfer – Kinder- und Spezialärzte) sowie im Lebensumfeld zur Verfügung stehende „Freizeit-Angebote“) weitere Wachstums-Möglichkeiten für das Kind eröffnen?

Kompetenz in Entwicklungs- und Lernbegleitung/-förderung

Wichtig ist die umfassende Unterstützung in den Bereichen Sensomotorik, Bewegung (insbesondere in Graphomotorik, Augen- und Mundmotorik), Wahrnehmung (insbesondere in den Bereichen auditive und visuelle Verarbeitung). Hinzu kommen Entspannungsangebote, häufig müssen Aufmerksamkeit und Konzentration gestützt werden. Eine Förderung der gesprochenen Sprache – ggf. in Kooperation mit Logopädin, Sprachheiltherapeut – Verbesserung der Artikulation, Kompetenzen im Grundwortschatz, Grammatik, Syntax als weitere zentrale Voraussetzung für Aneignung und Umgang mit geschriebener Sprache, Schrift-Sprache, gehört ebenso zur Therapiekonzeption. Und innerhalb dieses breiten entwicklungsfördernden Spektrums findet dann die Unterstützung von elementarer Schriftsprache (bzw. elementarem Rechnen) ihren Platz: Festigung von Laut-Differenzierung, Buchstaben-Sicherheit und deren Zuordnung, auf Schriftsprache bezogene sprachanalytische Kompetenz – Silben, Morpheme -, womöglich Orthographie.

Aus psychologischer Sicht stehen im Mittelpunkt die eigene Lern- und Arbeitsor ganisation, Stärkung des Selbstwerts, Selbstkontrolle von Verhalten einschließlich eigener Leistungsbewertung, Stärkung der sozialen Kompetenz.

Weitere Bedingungen für den Fördererfolg von Lerntherapie

Neben den beschriebenen inhaltlich-fachlichen Kompetenzen der Lerntherapeut_innen tragen zum Erfolg bei:

  • Engagement und Fähigkeit der Eltern, für sich und ihr Kind Hilfe zu suchen
  • Prinzipien wie Freiwilligkeit bzw. mindestens: Akzeptanz – die innere Haltung des Lernenden: „Ich will lernen“ bzw. auch der Eltern: „Wir wollen einen Beitrag leisten“
  • Die skizzierte konsequente Ressourcen-Orientierung
  • Das Verhelfen zu kleinschrittigen Lernerfolgen und die damit verbundene Fortschrittsorientierung – „Vom Teufelskreis zur Glücksspirale“
  • Individuell angepasste Methodenvielfalt – das ist einer der wesentlichen Unterschiede zu jeder Art Trainingsprogramm
  • ständige Ziel- und Auftragsklärung – mit den Eltern, mit dem Kind
  • Beständigkeit, Verlässlichkeit und Kontinuität bezüglich Terminen, Absprachen
  • Wohlwollende professionelle Haltung
  • Vermittelnder Kontakt mit allen Beteiligten – Kind, Eltern, Lehrkraft (Mediator)
  • Die Zuwendung in der Einzel- oder Kleinstgruppensituation macht dies möglich

Lerntherapie IN Schule braucht gute Rahmenbedingungen in der Schule – Das KREISELprojekt

Für erfolgreiche Lerntherapie in Schule gilt es, möglichst viel der genannten Aspekte zu realisieren. Die allergrößte Effektivität ist zu erwarten in der Zeit rund um die Einschulung, daher Ziel und Motto: „Früh fördern statt spät sitzen bleiben“ – kombiniert mit „kurzfristig und niedrigschwellig“, also schnelle Hilfe, mit einer hohen Wertschätzung der Kompetenz Lehrkraft, Unterstützungsbedarf zu erkennen.

a. Freiwilligkeit bzw. Akzeptanz aller Beteiligten – Es ist unabdingbar, dass die Initiative nacheiner lerntherapeutischen Unterstützung von Schulleitung und Lehrkräften und ebenso gewichtig: von Eltern bzw. Elternrat mit getragen wird bzw. ausgeht; dies erhöht die Akzeptanz auf Seiten weiterer Eltern bzw. Lehrkräfte. Ein Informationsabend leistet hier gute
Aufklärung und gibt einen Eindruck vom Interesse von Eltern bzw. Lehrkräften!

b. Der Raum in der Schule – Die Schule stellt einen Raum bereit, dieser muss für die lerntherapeutischen Stunden sicher verfügbar sein, d.h. in der vereinbarten Zeit ist kein Zugriff für andere schulische Zwecke möglich. Die Qualität des Raumes: hell, Größe mindestens 16 bis 25 qm bei einer Dreiergruppe; eine Mindestausstattung ist seitens der Schule zu gewährleisten (auf jeden Fall: eigener Schlüssel, Materialschrank bzw. abschließbarer Schrank wegen des Datenschutzes; beheizt, Fenster).

c. Die Zeiten für die Lerntherapie in der Schule – Möglichst während der Unterrichtszeit.
Dies hat sich sehr bewährt und ermöglicht guten Kontakt zu den Lehrkräften; die Therapiekinder haben Sonderrolle genossen, konnten andere Kinder mit einladen. Im Rahmen der Ganztagsschule entwickeln sich aktuell neue zeitliche Perspektiven.

d. Die Auswahl der Kinder – Grundsätzlich ist dies mit der einzelnen Schule zu klären: Aus lerntherapeutischer Sicht könnte und sollte ein aufwändiges Selektionsverfahren vermieden werden, was auch der Wunsch vieler Lehrkräfte ist. Von mehreren Modellen hat sich dieses gut bewährt: Die Lehrkraft der 1. Klasse „trifft eine Vorauswahl“, was im Projekt nach ca. 6 Wochen Schulbesuch sehr gut gelungen ist, und bittet die Lerntherapeut_in zur Hospitation in die Klasse; danach besprechen sich beide; dann Ansprache der Eltern: Elterngespräch & Diagnostik zur Förderung (Datenschutz beachten!).

e. Die Schulen sollten im Einzugsgebiet der Praxis liegen – In der Regel sollten die Schulen im Einzugsgebiet der Praxis liegen, damit eine Einbettung der Schul-Arbeit in das Gesamtkonzept der Praxis möglich ist, z.B. durch das identische lokale Netzwerk von weiteren „Unterstützern“, ein ganz wesentlicher Aspekt!

f. Einige Tage gemeinsame Fortbildung und Supervision – Dies dient der besseren Integration des für die Schule neuen Angebotes sowie zum Kennenlernen des theoretischen Hintergrundes der lerntherapeutischen Arbeit. (Siehe auch die KREISELprojekte in CELLE und im Landkreis BERSENBRÜCK/OSNABRÜCK – Projektberichte folgen in einem späteren Beitrag.)

g. Der Betreuungsrahmen – Die lerntherapeutische Arbeit erfolgt mit den Kindern, den Lehrkräften, den Eltern und gegebenenfalls mit kooperierenden Einrichtungen.

  • Ein „Übergabe-Gespräch“ Lehrkraft – Lerntherapeutin = 1 Stunde je Kind
  • Diagnostik zur Förderung und Aufbau der Beziehung = zwei Einzeltermine mit jedem Kind
  • Ein Elterngespräch je Kind (möglichst; Reihenfolge gegebenenfalls umgekehrt)
  • Im Verlauf ggfs. Gespräche mit Lehrkräften und Eltern
  • Regelmäßige Treffen und „Tür- und Angel-Gespräche“ mit Lehrern – in diesem guten Kontakt besteht übrigens ein deutliches Plus gegenüber der außerschulischen Lerntherapie!
  • Der Elternkontakt ist – u.a. wegen der anderen Ausgangs- und Auftragslage – mitunter schwieriger. Eine wichtige Projekterfahrung: Immer, wenn Elternkontakt zustande kam, war er sehr effektiv und verbesserte auch das Verhältnis von Lehrkraft und Eltern. Es gab eine gute Akzeptanz von weiter gehenden Vorschlägen und: Dankbarkeit für so frühe Unterstützung.
  • Einzeln, Paare und (max.) Dreiergruppe – Lehrkraft und Lerntherapeutin tauschen sich darüber aus, welche Konstellation sinnvoll ist. Der (realistische) Regelfall für die Förderarbeit wird das Paar oder maximal die Dreier-Gruppe sein – als Kompromiss zwischen therapeutischer Erfordernis und finanzieller Machbarkeit. Ggfs. ist aber die vorübergehende
    Einzelförderung erforderlich. Vorausgesetzt, die Kinder passen inhaltlich und gruppendynamisch zueinander, ist es sinnvoll, wenn drei Kinder aus einer Klasse kommen, aus organisatorischen Gründen und für die Gespräche zwischen Therapeutin und Lehrkraft.
  • Der zeitliche Umfang: + ein Termin à 45/60 Minuten in der Woche, zwei oder sogar drei Termine je Woche sind sicher wesentlich wirkungsvoller. + 10 bis 15 Einheiten für alle „Einzelaktivitäten“ (Diagnostik, Gespräche mit Lehrkräften/Eltern); + ca. 25 bis 30 Einheiten einzeln oder im Paar oder in der Dreiergruppe; d.h. für das einzelne Kind stehen ca. 40 Einheiten zur Verfügung, das ist ca. ein Schuljahr. Bei früherem Erfolg kann die Förderung
    Jederzeit beendet werden.
  • Auswertungs-/Bilanzgespräche – Zum Ende eines Halbjahrs ein Bilanzgespräch zwischen Schule (Leitung, Lehrkräfte) und Lerntherapeut_in, möglichst auch vor einer Zeugniskonferenz oder Fallkonferenz.
  • Verträge – Die Rahmenbedingungen und Aspekte, die zu einer erfolgreichen und kontinuierlichen Förderung beitragen, werden in Verträgen festgelegt. Vertragspunkte u.a.: + Verantwortlichkeit für einen ausgestatteten Raum, + dafür, dass die Kinder rechtzeitig ankommen, + Bezahlung im Falle von Nicht-Absagen.
  • Kosten – Professionelle Lernförderung & Lerntherapie hat ihren Preis: + Grundqualifikation plus z.B. bei KREISELtherapeut_innen eine bis zu dreijährige interdisziplinär orientierte Zusatzausbildung; + Die Lerntherapeut_in entwirft für jedes Kind eine zu diesem passende erste Konzeption, die durch ständige Verlaufsdiagnostik aktualisiert wird, was einen hohen Grad an Vor- und Nachbereitung, Dokumentation, Berichte und Austausch bedeutet. + Lerntherapeut_innen betreiben eine selbstständige Praxis (Miete, Material …), für die Steuern und Versicherungen zu bezahlen sind (Krankheit, Berufsunfähigkeit, Altersvorsorge). Eine Lerntherapiestunde ist daher in der freien Praxis mit mindestens 40€, lokal durchaus auch mit 50€ und mehr zu vergüten.
  • Rechenbeispiel
    + Die Kosten für ein_e Schüler_in betragen bei 40 Einzelstunden zu 45€ ca. 1.800€/Jahr, ca.150€/Monat.
    + Wenn zwei Schüler_innen gemeinsam gefördert werden, sind das ca. 10 Stunden einzeln zu 45€ plus ca. 30 Stdn. zu 25€ (Die Therapeutin erhält 50€, die sich auf die beiden Kinder verteilen), ca. 1.200€/Jahr, ca. 100€/Monat.
  • Finanzierung – Im KREISELprojekt wurden die Kosten von allen Beteiligten aufgebracht, d.h.
    von den Schulen und von den Eltern – auch um beider finanzielle Verantwortung deutlich zu
    machen. Dies bringt zusätzliche Verwaltungstätigkeit mit sich – Rechnungen, Buchungen, Honorare -,
    so dass zusätzlich ca. 10/20% „Infrastrukturkosten“ einzuplanen sind.

Erfahrungen aus den KREISELprojekten

  • Es braucht ein wenig Zeit, bis sich eine vertrauensvolle Kultur der Zusammenarbeit und eine Einbettung der Lerntherapeutin in die schulischen Kommunikationsstrukturen ergibt.
  • Die Lehrkräfte berichten von ihrer gestiegenen Sicherheit durch „den zweiten Blick“ der Lerntherapeutin, was sich auf ihr Auftreten gegenüber den Eltern so auswirkte, dass diese die gemeinsamen Empfehlungen von Lehrkraft und Therapeutin viel besser annehmen konnten. Das mit Schulbeginn in aller Regel erst einmal vorhandene Vertrauensverhältnis Eltern – Lehrkraft bleibt erhalten (!).
  • Die Lehrkräfte profitieren von erweitertem „know how“, von fachlichen und emotionalen Entlastungen bezüglich ihrer „Sorgenkinder“ und dadurch freier Energien gegenüber der ganzen Klasse.
  • Es zeigte sich, dass die meisten Eltern (für die Lehrkräfte überraschend) kooperativ und dankbar waren, gelassener in ihren Reaktionen und eher bereit, sogar zusätzliche Therapien zu akzeptieren. Die meisten Eltern waren zufrieden, weil die Lerntherapie im Rahmen von Schule stattfindet und keinen zusätzlichen nachmittäglichen Termin bedeutet.
  • Alle Kinder kamen ausgesprochen gerne, genossen die Zuwendung, bauten eine gute Beziehung auf, zeigten andere, bessere Verhaltensweisen als im Unterricht, sie sprachen (während sie sich in der Klasse nicht trauten), beteiligten sich, zeigten schnelle Fortschritte: „Lernen blieb erstrebenswert“, sagte eine Lehrkraft.

 

Zum Autor:

Dr. Jochen Klein ist Lehrer, Moderator, Supervisor, bundesweite Tätigkeit in Vorträgen und Weiterbildung, Gesamtleitung der dreijährigen Ausbildung Integrative Lerntherapie, langjähriges Vorstandsmitglied des Fachverbands für integrative Lerntherapie, langjähriger Leiter von KREISEL e.V. und LESEN und SCHREIBEN e.V.

Qualifikation und Fortbildung von Lehrkräften zu Alphabetisierung und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS, Legasthenie)