Gemeinsam mit seinen Projektpartnern sammeln LegaKids und alphaPROF Empfehlungen für die Kooperation von Lerntherapie und Schule, um beide Bereiche enger miteinander zu verknüpfen. Langfristig sollen damit die Förder- und Unterstützungsstrukturen für Schülerinnen und Schüler verbessert werden.
„Jedes Kind kann lesen und schreiben und rechnen lernen!“
Erfahrungsbericht aus einem Fortbildungs- und Coaching-Projekt in der Grundschule
von Andrea Schulz & Astrid Schröder (Duden Institute für Lerntherapie)
In den 25 Jahren des Bestehens der Duden Institute wurden und werden immer wieder Schulprojekte unterschiedlichen Umfangs und mit unterschiedlichen Zielstellungen innerhalb Deutschlands erprobt.
Immer geht es darum, besondere Lernschwierigkeiten von Kindern rechtzeitig zu erkennen bzw. zu verhindern und frühzeitig passende Fördermaßnahmen für Betroffene einzuleiten. Von einer engen Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Lerntherapeuten können alle Seiten profitieren und Folgeschäden, die sich durch vermehrte psychosoziale Belastungen ausdrücken, können verhindert werden.
Wie lassen sich Bedingungen für eine gute Zusammenarbeit bestimmen, wie muss diese organisiert und finanziert werden? Wer trägt für wen und für was die Verantwortung? Das sind Fragen, die bei jedem Projekt neu gestellt und beantwortet werden müssen.
Im Folgenden wollen wir über Schulprojekte berichten, die von den Duden Instituten in sechs Berliner Schulen durchgeführt und von allen beteiligten Seiten als äußerst erfolgreich eingeschätzt wurden.
Die fachdidaktischen und entwicklungspsychologischen Fragen, die uns und die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer bewegten, können in diesem Rahmen ebenso wenig dargestellt werden, wie die konkreten Aufgaben und Materialien, mit denen sich die Kinder auseinandersetzten (vgl. aber Huck & Schulz 2015, 2016, Schulz & Schröder 2017).
Wir beschränken uns daher darauf Rahmenbedingungen und Organisation der Projekte zu beschreiben – und führen dann aus, was unserer Auffassung nach die wichtigsten Bedingungen für das Gelingen der Projekte waren.
Das Projekt „Jedes Kind kann rechnen lernen!“
Das Projekt „Jedes Kind kann rechnen lernen!“ entstand aus einer Initiative des „Pädagogischen Informationszentrums“ in Berlin als Teil eines Forschungsprojekts an sogenannten „Brennpunktschulen“ des Bezirks Mitte.
Durch die gemeinsame Arbeit mit allen Lehrerinnen und Lehrern der teilnehmenden Schulen sollte erreicht werden, dass kein Kind in einer ersten Klasse zurück- und ein sogenannter zählender Rechner bleibt. Inhalte des Projekts waren Fortbildungen und Coachings zum Erkennen und Überwinden von Rechenschwäche.
Dazu erarbeiteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Duden Institute Unterrichtssequenzen, in denen jeweils ein ausgewählter mathematikdidaktischer Schwerpunkt im Mittelpunkt stand. Im ersten Schuljahr wurden z.B. die folgenden zehn Sequenzen umgesetzt:
- Entwicklung des eigenen Körperschemas, des fremden Körperschemas und Orientierung im Raum
- Aufbau des Zahlenraums bis 10, Entwickeln von Zahlvorstellungen
- Zehnerergänzung, Übungen zur Veränderung von Zahlbildern
- Handlungsvorstellungen zur Addition und Subtraktion („Haus und Auto“-Modell)
- Aufbau des Zahlenraums bis 20, Entwickeln von Zahlvorstellungen
- Zahlbildungsprinzip (10 + a; „Aufgaben, die ich nicht rechnen muss“)
- Zehnerüberschreitung mit Material im „Haus und Auto“-Modell
- Zehnerüberschreitung mit Material ohne „Haus und Auto“
- Zehnerüberschreitung ohne Material
- Ausblick auf den Zahlenraum bis 100
In Fortbildungseinheiten wurden die Sequenzen theoretisch eingeordnet (mit Bezug auf die Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten bei jüngeren Schulkindern bzw. Ziele des Mathematikunterrichts) und Möglichkeiten der praktischen Durchführung sowie der Differenzierung für leistungsstärkere und -schwächere Schülerinnen und Schüler erörtert.
Abbildungen 1 und 2: Eindrücke aus dem Projekt „Jedes Kind kann rechnen lernen!“
Das Projekt startete mit Beginn des Schuljahres und jede Sequenz wurde mindestens einen Monat im Unterricht thematisiert und darüber hinaus mit den Kindern, die sich bei den jeweiligen Inhalten noch nicht sicher fühlten. Ein hauptsächliches Vorgehen in Partnerarbeit erleichterte dabei sowohl die Reflexion über Handlungen als auch eine sofortige Kontrolle des Vorgehens und des Ergebnisses. Die Kinder stellten sich bei einzelnen Übungen immer auch selbst bzw. gegenseitig Aufgaben, die sie sich zutrauten, und dokumentierten ihre Ergebnisse. Die Einbindung einer Sequenz in den regulären Unterricht nahm dabei nicht mehr als 10 bis 15 Minuten in einer Unterrichtsstunde in Anspruch.
Die am Projekt beteiligten Lehrerinnen und Lehrer wurden in Hospitationen und Reflexionsrunden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Duden Institute begleitet, erhielten Rückmeldung und Hinweise zum Vorgehen bzw. auch zur weiteren Binnendifferenzierung. Jede Schule hatte dabei ihren Ansprechpartner vom Duden Institut, an den sie sich mit Fragen wenden konnte. Nach Abschluss dieser ersten erfolgreichen Projekte entstand mit einigen Schulen eine regelmäßige Zusammenarbeit in weiteren Schuljahren (vgl. Huck & Schulz 2015, 2016). Finanziert wurden die Projekte aus Mitteln des „Bonus-Programms“ für Schulen in sozialstrukturell benachteiligten Stadtteilen. Insgesamt arbeiteten im Projekt über 40 Klassen und mehr als 50 Lehrkräfte aus sechs Schulen mit.
Das Projekt „Jedes Kind kann lesen und schreiben lernen“
Basierend auf den positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit zwischen den Duden Instituten für Lerntherapie und Berliner Grundschulen im Fach Mathematik wurde das Schulprojekt „Jedes Kind kann lesen und schreiben lernen“ für Schülerinnen und Schüler der Schulanfangsphase (Klasse 1) entwickelt. Im Jahr 2017 wurde es an einer unserer Projektschulen in Berlin in insgesamt fünf ersten Klassen durchgeführt.
Im Rahmen des Schulprojektes wurden Unterrichtssequenzen bereit gestellt, die den Schriftspracherwerb im ersten Schuljahr optimal unterstützen, sodass Lese- und/oder Rechtschreibschwächen verhindert bzw. so frühzeitig erkannt werden, dass etwaige Schwierigkeiten bereits im Anfangsstadium überwunden werden können. Für die Sequenzen wurden Übungen, die sich beim Aufbau grundlegender Inhalte in der Lerntherapie bewährt haben, so aufgearbeitet, dass sie an den individuellen Entwicklungsstand angepasst und in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit im Unterricht durchgeführt werden können.
Abbildungen 3 und 4: Eindrücke aus dem Projekt „Jedes Kind kann lesen und schreiben lernen!“
Folgende Unterrichtssequenzen wurden für das Schulprojekt „Jedes Kind kann lesen und schreiben lernen“ entwickelt:
- Erkennen von Wortgrenzen
- Gliedern von Wörtern in Silben
- Jede Silbe hat einen Selbstlaut
- Lesen: Silbenweises Lesen von Wörtern
- Schreiben von lauttreuen Wörtern
- Unterscheiden von ähnlichen Lauten
- Großschreibung von Nomen
- Lesen: Wörter „auf einen Blick“ erkennen
- Häufig vorkommende Wörter schreiben
- Techniken zur Selbstkontrolle
Auch hier wurde für die Durchführung des Projektes eine Kombination aus Hospitationen, Reflexionen, und Fortbildungseinheiten mit Workshop-Charakter gewählt: Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit konnten die Lehrkräfte dabei ihre Kenntnisse zur Methodik und Didaktik vertiefen und wichtige Meilensteine der Entwicklung für jedes einzelne Kind in den Blick nehmen. Durch die Hospitationen entstand ein vertiefter Austausch, sowohl zwischen Lerntherapeuten und Lehrkräften, als auch zwischen den Lehrkräften untereinander. Die Lerntherapeutin übernahm dabei meist eine moderierende Rolle und konnte die Erfahrungen und Beobachtungen aus allen Klassen zusammenführen sowie Schwierigkeiten, die bei einzelnen Kindern beobachtet wurden, mit dem gesamten Team reflektieren.
Gelingensbedingungen für die Schulprojekte
Die Evaluation der Projekte zeigte eine große Zufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer mit den Ergebnissen: Die weit überwiegende Zahl der beteiligten Lehrerinnen und Lehrer gab z. B. an, dass sie Materialien und Übungssequenzen als hilfreich empfanden. Darüber hinaus erkannten sie deutliche Fortschritte bei den Kindern mit den größten Schwierigkeiten und schätzten ein, dass sich die Haltung zu den Fächern Mathematik und Deutsch positiv verändert habe.
Wir waren uns mit den Lehrerinnen und Lehrern einig, die wichtigsten Bedingungen für das Gelingen der Projekte waren:
- Die Verbindlichkeit der Zusammenarbeit über einen längeren Zeitraum und damit die Konzentration auf nachhaltige Erfolge in den wichtigsten Entwicklungsbereichen,
- eine optimistische Grundhaltung zur Entwicklung der Kinder durch die gemeinsame Arbeit in den Projekten sowie
- ein wertschätzender Umgang miteinander und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Lehrer/innen und Lerntherapeut/innen auf Augenhöhe.
Literatur
Huck, L. & Schulz, A. (2015). „‚Jedes Kind kann Rechnen lernen!‘ – Ein Erfahrungsbericht aus einem Fortbildungs- und Coachingprojekt in der Grundschule“, Grundschulunterricht Mathematik, 4/15, 26-29.
Huck, L. & Schulz, A. (2016). „Lernmöglichkeiten vervielfachen durch Lernumgebungen. Unterrichtssequenzen zur Multiplikation aus dem Projekt ‚Jedes Kind kann rechnen lernen!‘“, Grundschulunterricht Mathematik, 4/2016, 21-25.
Schröder, A. & Schulz, A. (2017). „Jedes Kind kann lesen, schreiben und rechnen lernen! Erfahrungsbericht aus einem Fortbildungs- und Coachingprojekt in der Grundschule“, in: Huck, L. & Schulz, A. (Hg), Lerntherapie und inklusive Schule. Berlin: Dudenverlag.
Zu den Autorinnen
Dr. Andrea Schulz war Grundschullehrerin und Dozentin in der Lehrerausbildung, ehe sie vor 25 Jahren die späteren Duden Institute für Lerntherapie gründete. Durch ihre Dissertation „Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht der Grundschule“ legte sie das wissenschaftliche Fundament des Therapiekonzeptes der Duden Institute, an dessen Weiterentwicklung sie maßgeblich beteiligt ist. Als Leiterin des Systems der Duden Institute berät sie Leiterinnen und Leiter der über 70 Duden Institute in ganz Deutschland.
Dr. Astrid Schröder ist Sprachtherapeutin und Lerntherapeutin. Als langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin des Studiengangs Patholinguistik war sie in Forschung und Lehre an der Universität Potsdam engagiert. Seit 2015 ist sie als wissenschaftliche Leiterin und Fachbereichsleiterin im Bereich Lese-Rechtschreibschwäche für die Duden Institute tätig.
Bildquelle: DUDEN Institute für Lerntherapie