Gemeinsam mit seinen Projektpartnern sammeln LegaKids und alphaPROF Empfehlungen für die Kooperation von Lerntherapie und Schule, um beide Bereiche enger miteinander zu verknüpfen. Langfristig sollen damit die Förder- und Unterstützungsstrukturen für Schülerinnen und Schüler verbessert werden.

Qualitätsstandards und Finanzierung – Voraussetzungen einer gelingenden Zusammenarbeit von Lerntherapie und Schule

Gerd-Dietrich Schmidt

 

Die inklusive Schule vereint Kinder und Jugendliche mit all ihrer Individualität, Kinder, die besonders gefordert werden müssen, und Kinder, die besonderer Unterstützung bedürfen. Gleichzeitig integriert eine inklusive Schule neben den Lehrkräften immer mehr Personal mit sehr unterschiedlichen Professionen wie Sozialarbeiter, Schulhelfer, Integrationshelfer, Schulpsychologen usw. So wird das Personal einer inklusiven Schule immer mehr zu einem multiprofessionellen Team.

Erfreulicherweise wird auch die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Lerntherapeuten bzw. lerntherapeutischen Einrichtungen vor diesem Hintergrund immer enger. Damit diese Zusammenarbeit gut gelingt und es nicht zu Enttäuschungen bei einem oder beiden der beteiligten Partner kommt, sollten jedoch eine Reihe von Fragen schon im Vorfeld bedacht werden.

Will man Kindern helfen, die besondere Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen haben, ist zu klären, ob eine Lerntherapie die geeignete Maßnahme ist oder andere Fördermaßnahmen indiziert sind: z. B. Förderunterricht, auch in Kleingruppen, differenzierte Unterrichtsgestaltung, Einzelförderung durch Schul- und Integrationshelfer oder spezielle Schulprojekte (vgl. z. B. Schulz & Schröder 2017).

Dann stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Lerntherapie stattfinden soll. Lerntherapie kann selbstverständlich auch an Schulen durchgeführt werden. Dazu müssen aber räumliche, personelle und andere Bedingungen an der Schule geschaffen werden. Lerntherapie muss an der Schule nach den gleichen Qualitätsstandards durchgeführt werden, die für jede Art von Lerntherapie gelten sollten, und sie muss angemessen finanziert werden.

Qualitätsstandards wirksamer Lerntherapie

Von allgemein anerkannten Qualitätsstandards für eine Lerntherapie kann noch keine Rede sein. Der Zusammenarbeit von Lerntherapeuten und Jugendämtern liegen jedoch praktisch bewährte Kriterien zugrunde, die sich immer wieder in Leistungsbeschreibungen und Trägerverträgen finden. Dazu gehören:

  • Diagnostik zu den individuellen Lernvoraussetzungen, Bedürfnissen, Schwierigkeiten und Stärken des Schülers/der Schülerin, Förderplanung auf dieser Grundlage
  • Therapie, die der Persönlichkeit des Kindes in didaktischer, sozialer und emotionaler Hinsicht entspricht (individuell passende Lehr-/ Lernmethoden und Lernstrategien, therapeutische Beziehungsangebote),
  • individuelle Förderung in Einzelsitzungen oder Kleingruppen,
  • Gestaltung des Lernortes unter Berücksichtigung der Förderbedarfe,
  • Arbeit mit nachgewiesen wirksamen Therapiematerialien,
  • Vorgespräch und prozessbegleitende Beratung der Eltern,
  • Kontakt mit Schule und Eltern als Rückmeldung zur Förderung und zur Fortschreibung von Förderzielen.

Zu diesen inhaltlichen Standards treten zahlreiche berufsethische und rechtliche Verpflichtungen, denen Lerntherapeuten genügen müssen: Hier seien beispielhaft nur solche Themen wie Kinderschutz, Datenschutz, Aufsichtspflicht, Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, bauamtliche Vorschriften zur Nutzung von Räumen u. v. m. genannt.

Finanzierung von Lerntherapie

Eine auskömmliche Finanzierung von Lerntherapie stellt sicher, dass Lerntherapeuten den gerade beschriebenen Standards gerecht werden können und keine Abstriche am Leistungsumfang, an der Qualität verwendeter Materialien, der Ausstattung genutzter Räume, der Qualifikation oder der finanziellen und sozialen Absicherung des Therapeuten gemacht werden müssen.
Eine aktuelle Umfrage der Verbände BVL (Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V.) und FiL (Fachverband für integrative Lerntherapie e. V.) zum Berufsbild Lerntherapeut/Lerntherapeutin unter ca. 500 Lerntherapeuten liefert zum letztgenannten Punkt interessante Einblicke (FiL 2017): 57 % von 416 Lerntherapeuten äußerten, dass sie mit ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, und 45 %, dass sie das allein mit der lerntherapeutischen Tätigkeit auch können. „Viele gaben an, dass die Lerntherapie (gezwungenermaßen) nur als zweites Standbein diene.“ (ebd., 2) – Selbst in der Teilgruppe der Lerntherapeuten, die in Verbänden organisiert sind, ist es also noch nicht die Regel, dass die Tätigkeit als Lerntherapeut den Lebensunterhalt sichert, geschweige denn, dass sie eine angemessene Vorsorge ermöglicht. Leider muss man davon ausgehen, dass mit dem finanziellen Auskommen auch alle anderen Aspekte einer professionellen Tätigkeit in Frage stehen.
Ein wesentlicher Grund für diesen Missstand ist, dass die etablierten Finanzierungsmöglichkeiten längst nicht allen Adressaten von Lerntherapie zugänglich sind.

Dies gilt selbstverständlich besonders für die Privatfinanzierung durch die Eltern, die nach Daten aus den Duden Instituten nach wie vor hinter den meisten Lerntherapien steht (vgl. dazu Huck & Schmidt 2017, 13).

Auch die Finanzierung von Lerntherapie nach § 35 a Abs. 1 SGB VIII durch die Jugendämter kann aber nur einen Teil des Bedarfs befriedigen. Integrative Lerntherapien nach § 35 a SGB VIII werden von Jugend- und Sozialämtern nämlich nur dann finanziert, wenn die seelische Gesundheit des Kindes von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Eines der Probleme, die mit dieser Regelung zusammenhängen, besteht darin, dass das Antragsverfahren und die aufwändige, mehrstufige Diagnostik, die einer Kostenübernahme durch die Ämter vorausgesetzt ist, besonders für sozial schwache Familien eine unüberwindbare Hürde darstellt (Huck & Schmidt 2017, 19f).

Leistungen für Bildung und Teilhabe, die sich genau an diesen Personenkreis richten, sind bisher noch so geregelt, dass eine Finanzierung von Lerntherapie kaum in Frage kommt: Gesetzlich definierte Ziele (§ 28 SGB II) und Ausführungsvorschriften sind darauf gerichtet, dass die Versetzung eines Kindes ins nächste Schuljahr gelingen soll. Sie sind aus therapeutischer Sicht also zu eng gefasst. Angebotene Kostensätze entsprechen in den allermeisten Kommunen nur den Erfordernissen von Nachhilfe, die in Gruppen angeboten wird.

Finanzierung von Lerntherapie in der Schule

Angesichts dieser unbefriedigenden Rahmenbedingungen ist bei der Finanzierung von Lerntherapie in der Schule Kreativität gefragt. In ein Finanzierungsmodell können eingehen:

  • Therapien, die von Eltern privat finanziert, aber an der Schule durchgeführt werden.
  • Therapien, die über § 35 a SGB VIII als Jugendhilfemaßnahme finanziert, aber an der Schule durchgeführt werden,
  • ggf. Mittel des (privaten) Schulträgers,
  • ggf. Sondermittel der Bundesländer, z. B. aus dem Berliner „Bonus-Programm“ für Schulen, die in belasteten Sozialräumen arbeiten (SenBJF 2016), oder den Personalressourcen der „Schulen für Gemeinsames Lernen“ im Land Brandenburg (MBJS 2017).

Auf politischer Ebene sind drei Forderungen zu stellen, die die Finanzierung von Lerntherapie in der Schule erleichtern würden:

Der § 35 a SGB VIII sollte bei der anstehenden Reform des Sozialgesetzes so gestaltet werden, dass alle Kinder und Jugendlichen leichter Zugang zu einer Lerntherapie bekommen. Liegt bei einem Kind eine „Lese-Rechtschreib-Störung“ und/oder „Rechenstörung“ vor, sollte ohne weitere Voraussetzungen von einer Beeinträchtigung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgegangen und entsprechende Hilfen bewilligt werden.

Durch einen neuen Zuschnitt der Leistungen zu Bildung und Teilhabe sollten Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien einfacher einen Zugang zu wirksamen Lerntherapien bekommen können.

Aus Bundes- und Landeshaushalten sollten mehr Mittel für die Entwicklung hin zu einem inklusiven Schulsystem zur Verfügung gestellt werden.

Zum Autor

Dr. Gerd-Dietrich Schmidt ist seit fünfundzwanzig Jahren Geschäftsführer des Systems der Duden Institute für Lerntherapie. Er verfügt über umfassende Erfahrungen beim Gründen, im Aufbau und der Führung lerntherapeutischer Praxen und führt seit vielen Jahren Aus- und Fortbildungsveranstaltungen zu diesen Aspekten für Lerntherapeuten im System der Duden Institute und an Hochschulen durch.

Literatur

Fachverband für integrative Lerntherapie e. V. (FiL) (2017). Auswertung – Umfrage zum Berufsbild Lerntherapeutin/Lerntherapeut (Kurzfassung). Verfügbar unter: http://www.lerntherapie-fil.de/images/stories/downloads/AuswertungUmfrage_Kurzfassung.pdf [Abgerufen am 19.5.2017]

Huck, L. & Schmidt, G.-D. (2017). Die Duden-Lerntherapie-Studie. Integrative Lerntherapie – Wer benötigt und wer bekommt lerntherapeutische Hilfe beim Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen. https://www.duden-institute.de/10689_Duden-Lerntherapie-Studie.htm [15.12.2017]

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport – Land Brandenburg (MBJS) (2017). „Rundschreiben 3/17 vom 9. Februar 2017 – Schulen für gemeinsames Lernen“. Abl. MBJS, 5 (26), 40-46.

Schröder, A. & Schulz, A. (2017). „Jedes Kind kann lesen, schreiben und rechnen lernen! Erfahrungsbericht aus einem Fortbildungs- und Coachingprojekt in der Grundschule“, in: Huck, L. & Schulz, A. (Hg), Lerntherapie und inklusive Schule. Berlin: Dudenverlag.

Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie – Berlin (SenBJF) (2016). Handreichung für das Bonus-Programm. https://www.berlin.de/sen/bildung/unterstuetzung/bonus-programm/fachinfo/ [15.12.2017]

Qualifikation und Fortbildung von Lehrkräften zu Alphabetisierung und Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS, Legasthenie)