Auf dem Weg zur Schrift: Gastbeitrag von Hans Brügelmann
Kinder erfahren nicht erst im schulischen Umfeld, was Schriftsprache ist. Sie machen vielmehr bereits im Vorschulalter prägende Erfahrungen mit Lesen und Schreiben. Kindergärten können ganz nebenbei durch den spielerischen Einsatz von Schriftsprache das Interesse der Kinder wecken.
Die Bedeutung vorschulischer Erfahrungen mit der Schriftsprache
von H. Brügelmann
Lesen, Schreiben, Rechnen – mehrere Jahrhunderte war die Einführung in diese Welten Domäne der Schule. Inzwischen wissen wir, dass der erste Schultag auch in dieser Hinsicht keine Stunde Null ist. Schulanfänger kennen nicht nur Buchstaben und Zahlen, sie kennen Schrift als Sprache vom abendlichen Vorlesen, von Schildern aus der Umwelt, vom Gebrauch ihres Namens beim Signieren ihrer Zeichnungen. Viele bringen aber außerdem schon konkrete Vorstellungen darüber mit, wie Schriftsprache funktioniert. Der Umfang dieser „early literacy“ ist ein wichtiger Prädiktor für den Erfolg der Kinder im Lese- und Schreibunterricht der Schule.
Die Begeisterung für Lesen und Schreiben wächst lange vor der Einschulung
Schon seit den 1970er Jahren gibt es eine breite Forschung zur „emergent literacy“, also dazu, wie sich Schriftsprachkompetenz über Erfahrungen vor der Schule entfaltet. Leider wachsen die Kinder in sehr unterschiedlich reichen Schriftwelten auf. Diese prägen ihr Interesse an Büchern, ihre Einstellung zum Lesen und Schreiben nachhaltig. Umso wichtiger, dass sich die Förderung im Kindergarten und am Schulanfang nicht in einem formalen Training phonologischer Teilleistungen wie Reimen, Silbengliederung, Anlaute heraushören usw. erschöpft. Lesen und Schreiben sind mehr als nur Kultur“techniken“ – sie sind eine zweite Sprache, die durch aktive Teilhabe an der Schriftsprach-Kultur der Erwachsenen erworben wird: durch Zuhören beim regelmäßigen Vorlesen, durch das Diktieren kleiner Geschichten, durch den Erhalt von Briefen.
Kinder spielerisch und beiläufig an Schriftsprache heranführen
Auch im Kindergartenalltag gibt es viele Anlässe, um Gelegenheiten für den Schriftgebrauch zu arrangieren. So können etwa Anwesenheitslisten mit zunehmend schwierigen Anforderungen erstellt werden:
- mit vorgegebenem Namen, der jeden Tag angekreuzt wird
- mit vorgegebenem Namen, der zum Tag abgeschrieben wird
- ohne Vorgabe, so dass der Name aus dem Kopf geschrieben wird
Es können Tagespläne mit Bild-Symbolen und Schriftwörtern – möglichst am Morgen – gemeinsam erstellt werden. Die Schriftsprache kann an vielen Stellen im Alltag integriert werden:
- Namensschilder am Garderobenplatz und für persönliche Fächer
- Namenskarten, die morgens selbst herausgesucht oder im Stuhlkreis von wechselnden Pärchen verteilt werden
- Beschilderung des Kindergartens und seiner Räume – mehrsprachig
- Einrichtung eines Postkastens, über den die Kinder einander und Dritten Briefe schicken können
- Merkzettel für „Aufgaben“ oder Sachen, die die Eltern am nächsten Tag mitgeben sollen
Weitere Ideen finden sich in folgenden Sammlungen:
Brügelmann, H./ Brinkmann, E. (2016): Die Schrift erfinden – Beobachtungshilfen und methodische Ideen für einen offenen Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben. Libelle: CH-Lengwil.
Klein, H. (2005): Kinder schreiben. Erste Erfahrungen mit Schrift im Kindergarten. Kallmeyer: Seelze-Velber.
Zinke, O., u. a. (Hrsg.) (2005): Vom Zeichen zur Schrift. Begegnungen mit Schreiben und Lesen im Kindergarten. Beltz: Weinheim/ Basel.
Hans Brügelmann war bis zu seiner Pensionierung im Februar 2012 Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Siegen. Heute arbeitet er als freier Bildungsjournalist und engagiert sich im Grundschulverband e.V. Mehr unter
www.hans-bruegelmann.com.
und auf youtube unter Hans Brügelmann
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